Weinwissen
 

Erläuterung des Fachbegriffes Kaltvergärung:
 
Die alkoholische Gärung heizt einem gärenden Most mächtig ein. 1000 Liter Most mit einem durchschnittlichen Zuckergehalt setzen während der Gärung so viel Wärme frei, dass man mit ihr rechnerisch über 40 Tonnen Eis schmelzen könnte. Diese Wärmeentwicklung kompliziert die Weinbereitung. Zum einen beschleunigt jeder Temperaturanstieg biochemische Prozesse – auch solche, die zur Bildung von Essigsäure führen. Zum zweiten beschleunigt Wärme aber auch die Gärung selbst. Die Folgen sind ein weiterer Temperaturanstieg und eine besonders rasche Entwicklung von Kohlendioxid. Flüchtige Aromastoffe werden dann durch Wärme und Kohlensäure aus der gärenden Flüssigkeit geradezu herausgesprudelt. In den sechziger und siebziger Jahren begannen daher Experimente mit dem Ziel, durch eine temperaturgesteuerte Gärung betont bukettreiche und fruchtige Weintypen zu produzieren. Nicht zuletzt das norditalienische Weißweinwunder jener Jahre ist als erster großer Erfolg des Kaltgärverfahrens anzusehen.
Am einfachsten lässt sich eine Kaltvergärung herbeiführen, indem Gärtanks aus Edelstahl ständig mit kühlem Leitungswasser übersprüht werden. Diese Methode hat allerdings den Nachteil, dass Wärme nur immer direkt an der Oberfläche eines Gebindes abgeführt wird. Gerade bei größeren Tanks können die Gärtemperaturen im Innern dennoch recht hoch sein.
Eine bessere Kontrolle ist von modernen Gärtanks zu erwarten, die mit Hilfe eines ausgeklügelten Systems von Messsonden und einer Computersteuerung Kühlmittel, wie sie in jedem konventionellen Kühlschrank stecken, durch Rohrleitungen oder Wandtaschen im Innern des Gärbehälters leiten. Auf diese Weise kann die Gärtemperatur auch in einem riesigen Industrietank annähernd konstant niedrig gehalten werden.
Bei den heute meist eingesetzten Gärtemperaturen von 12 bis 16 Grad Celsius dauert die alkoholische Gärung gut dreimal so lang wie unter unkontrollierten Bedingungen. Diese Verzögerung schont die traubeneigene Frucht des Mostes und sie gestattet überdies die vermehrte Bildung von Gärungsnebenprodukten aus dem Stoffwechsel der Hefe. Dieser Gewinn aromatischer Komplexität wird noch verstärkt durch die Tatsache, dass für jede Kaltgärung Reinzuchthefen eingesetzt werden. Und unter diesen kann man Stämme wählen, die zusätzlich die Bildung einzelner Aromaträger fördern.
Kaltgärung ist also immer auch ein raffiniertes technologisches Spiel mit Sekundäraromen. Bei niedrigen Gärtemperaturen bilden sich stärker als sonst üblich Verbindungen von Säuren und Alkoholen. Die auf diese Weise entstehenden Ester riechen ausgeprägt fruchtig, häufig erinnert ihr Aroma an tropische Früchte. Das wohl bekannteste Kaltgäraroma, das sich als Geruch von reifen Bananen oder Eisbonbons zeigt, ist Isoamylacetat, ein Ester der Essigsäure.
Sein Entstehen hat für den Praktiker nicht zuletzt den Vorteil, dass sich eines der unangenehmsten Risikopotentiale kellertechnisch recht zuverlässig entschärfen lässt.
Kaltgärung liegt vor allem bei Weißweinen im Trend. Bei der Rotweinbereitung wird diese Technik nur dann eingesetzt, wenn nach einer Maischeerhitzung der Most separat von den Beerenhäuten vergoren werden kann. Dass sich das Kaltgärverfahren derzeit großer Beliebtheit erfreut, hat nicht zuletzt Marketing-Gründe. Industriell in großer Menge und unter Preisdruck produzierte Weine profitieren besonders stark von einer Kaltvergärung. Es entstehen Weine, die duftig, gefällig und früh konsumreif sind. Intensivere, aus hochwertigem Lesegut bereitete Weine gewinnen durch Kaltvergärung eine große Komplexität. Zuweilen stellt sich dabei auch die Frage, ob sie einer ausgeprägten Gäraromatik überhaupt bedurft hätten. Traditionalisten beharren darauf, dass Barriques und andere kleinere Weinbereitungsgefäße von selbst eine Steuerung der Gärtemperatur bewirkten – und dadurch eine ideale Aromenausbeute aus der Frucht des Traubenguts gewährleisteten.

Quelle: Alles über Wein 1/99


Die Kaltvergärung bei 15 bis 16° C war an der Mosel das früher übliche Verfahren, da meist nur in kleinen Behältnissen die Gärung vorgenommen wurde. In großen Fässern steigen die Temperaturen stark an, was zu einem Verlust der Aromen führt.
Problem der Kaltvergärung: die „wilden“ Hefen.

Quelle: Referat Dr. Scholten 8.10.99 in Trier


In jedem Traubensaft sind naturgemäß 50 % Glukose- und 50 % Fruchtzucker enthalten. Da es bestimmte Hefesorten gibt, die eine besondere Vorliebe für den Einfachzucker (Glukose) haben, werden diese Hefen sich zunächst der Glukose zuwenden. Wollen sie sich dann der Fruchtzuckermoleküle annehmen, wird die Gärung gestoppt.
Durch den verbliebenen Fruchtzucker verfügen die Weine über ihr typisches Bukett und müssen nicht nachgesüßt werden. Erhält man so den Fruchtzucker, erhält man die Geschmacksstoffe. Denn bei jeder Weingärung bilden sich Bukettstoffe – Glyzerine und Ester, die in der Regel an Fruchtzucker gebunden sind und sich äußerst positiv auf die Qualität auswirken. Umgekehrt heißt das, je mehr Zucker vergoren ist, desto weniger Bukettstoffe verbleiben in der Regel im Wein. Die Weine, die aber nach diesem Verfahren vergoren sind, sind trotz ihres süffigen Buketts auch für Diabetiker ohne Einschränkung ein echter Genuss.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Der Wein wird nur zu einem Teil zu Alkohol vergoren, Fuselöle bilden sich nicht. Dagegen bleibt eine geringe Menge Kohlensäure erhalten, die den Schwefeleinsatz zur Konservierung maßgeblich reduziert. Die Kalt-Gärung verhindert auch das Überschäumen bei einer sehr stürmischen Gärung, bei der Alkohol und Bukettstoffe verdunstet werden. All diese Fakten sprechen für die Bekömmlichkeit dieser neuen patentierten Weinklasse.

Hans-Hermann Sieben, Winzer in Zornheim
Quelle: Alles über Wein 5/99